Radfahren in Wien, ein Hindernisparcour

In den Sommer(loch)monaten liest man wieder von den Rad-Rowdies. Sie sind überall und vermehren sich. Sie radeln auf Gehsteigen, verschrecken Unschuldige. Klingt dramatisch? Fakt ist: Es gibt sie, die "Rowdies". Aber warum gibt es sie und wie konvertiert man einen "bösen Radfahrer"? Liegt die Antwort gar in mehr Regeln, Kennzeichen, Kontrollen und drakonischen Strafen? Ein lösbares Problem beschäftigt nicht nur das Wiener Gemüt.

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Der Radfahrer - Ein Bösewicht?

Ausgangspunkt war Anneliese Rohrers Blogeintrag "Radfahrer - Ein Ärgernis" in dem sie ihr Leid über die schwarzen Schafe unter den Radfahrern beklagte und den Fahrradbeauftragten Martin Blum aufforderte, er solle seine Energie für die Schulung der Radfahrrowdies investieren.

Ein Artikel der fast 1700 mal geteilt wurde und ein allgemeines "Hau drauf!" entfachte sich förmlich in sozialen Netzwerken.

Gruppen auf Facebook, die gegen Radfahrer hetzen, wurden gegründet. So zitiert das Nachrichtenportal Vienna.at den Gruppenadministrator von "Anti Radfahrer": "Ich würde gerne jeden Radfahrer der mir über die Zehen fährt mit den Baseball Schläger vom Fahrrad schlagen – nur leider darf man das nicht. Deshalb habe ich stattdessen diese Seite gemacht". Das Posting wurde mittlerweile gelöscht.

Ob sich das subjektive Wahrnehmen, dass es mehr Radrowdies gibt als früher, objektiv bestätigen lässt, ist schwer zu sagen, aber bei steigenden Zahlen bei Radfahrern ist die Annahme in absoluten Werten vielleicht sogar richtig.

In relativen Zahlen gibt es gewiss nicht mehr Radrowdies als früher.

Entsprechend führte ich auch auf Twitter eine kurze Debatte mit einem Bekannten zum Thema, dass bessere Infrastruktur das Rowdytum am besten zügelt. Bezeichnend aus der Diskussion fand ich folgende Tweets:

Seiner Aussage nach würde, analog zum Schulnotensystem, die Wiener Radinfrastruktur also eine 2 bekommen.

Für mich allerdings gerade mal eine 4 minus, wenngleich sich der "Schüler" zumindest bemüht und er nicht mehr mit einem Nachzipf rechnen muss.

Alle zwei Kilometer ein Problem

Nimmt man die offiziellen Zahl der Stadt Wien (Stand 2013), so gibt es 1.246km Radwege oder zumindest Straßenmarkierungen. 

Sieht man sich aber die Streckenführung der Radwege (die mitunter zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer recht "kreativ" ausgefallen sind) darf es einem nicht verwundern, dass bereits über 550 Problemstellen bei Fahrrad Wien gemeldet wurden (Meldungen innerhalb einer Woche, Stand 10. Juli 2014). 

Das entspricht in etwa einer Problemstelle alle zwei Kilometer. Problemstellen bei denen es zu Konflikten zwischen Radfahrern selbst, aber auch anderen Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern oder Autofahrern kommt.

Die Frage "Warum fahren dann so viele Radler am Gehweg?" ist eine nicht gestellte, wenn die Infrastruktur in Ordnung wäre.

Die größten Problemstellen

Sehen wir uns mal die unrühmliche Top 10 von über 500 Problemstellen genauer an. Als Quelle diente hierfür die Problemmeldestelle von Fahrrad-Wien.

Zu Dokumentationszwecken bin ich, außerhalb der Rush-Hour, zu den Problemstellen hingefahren, bzw. sind diese zum Teil ohnehin auf meinem täglichen Weg zur Arbeit.

Anmerkung: Bei den hier dokumentierten Problemstellen handelt es sich um stark genutze Hauptverkehrswege für Radfahrer und NICHT um Nebenstrecken mit schwachen Radverkehrsaufkommen.

Uraniastraße (Nahe Schwedenplatz)

Kommt man vom Stubenring und möchte Richtung Apsernbrückengasse/Praterstraße fahren, so wird man von der ersten roten Ampel angehalten. Querverkehr gibt es auf der einspuringen Einbahnstraße am Julius-Raab-Platz so gut wie nie.

Hier ignoriert zum Beispiel eine Gruppe von Fußgängern die rote Lichtsignalanlage.

Rote Ampel Nummer 1:

Wenige Meter später befindet man sich auf einer kleinen Verkehrsinsel begrenzt vorn durch die stark befahrene Donaulände und den Straßenbahnschienen hinter einem. Allerdings heißt es hier gleich wieder stehenbleiben: Rote Ampel.

(Anmerkung: Die Lichtanlage hinter der nächsten Verkehrsinsel hat grün.)

Rote Ampel Nummer 2:

Schaltet die Ampel nun endlich auf grün, wird die Ampel dahinter auf rot geschalten. Nun hängt man wieder auf der nächsten kleinen Verkehrsinsel.


In der Rush-Hour unter der Woche findet man hier kaum Platz. Selbst wie hier am Wochenende sammeln sich einige Radler und Fußgänger.

Die nächste Etappe der schleusenartigen Ampelschaltung ist eröffnet.

Rote Ampel Nummer 3:

Vermutlich ist diese Stelle eine der schärfsten und konfliktreichsten Zonen für Radfahrer und Fußgänger in Wien. Diese Strecke gehört laut bikemap.net Heatmap zu den meist frequentiertesten Radwegen.

In der Räumungsphase, die Autos haben bereits rot, wird die Kreuzung trotzdem oftmals "noch schnell" von Autofahrern überfahren:

Aufgrund der schleusenhaften Ampelschaltung auf nur wenigen Metern verlieren jedoch viele Radfahrer schnell Geduld und queren die Straße bei rot.

Neben baulichen Maßnahmen könnte hier eine "Grüne Welle" für Radfahrer dieses Konfliktpotential schnell entschärfen und für ein besseres Miteinander sorgen.

Schwarzenbergplatz

Stark pulsierend ist auch der Schwarzenbergplatz. Hier gibt es ebenfalls eine Schleusenschaltung, fährt man den Ring gegen den Uhrzeigersinn, so erhält man grün und gelangt auf die Verkehrsinsel (wo dieses Foto geschossen wurde), möchte man queren Richtung T.G.I. Fridays hat man rot, obwohl bereits alle Verkehrsteilnehmer rot haben. Paradoxerweise haben die Fußgänger gleich daneben bereits lange grün. 

U-Bahn Station Margaretengürtel

Schlangenlinienartig geht es direkt am Ausgang der U-Bahn Station Margartengürtel vorbei.

Einerseits strömen täglich aus der U-Bahnstation und der Straßenbahn viele Menschen, andererseits bietet die ohnehin große Betonfläche in der Gürtelmitte viel Platz für eine sinnvollere Routenführung.

Von Fußgängern und Radfahrern wird ein direkter Weg sichtlich deutlich bevorzugt, wie man an den kahlen Stellen im Gras gut erkennen kann.

Selbe Stelle aus anderer Position/Perspektive.

Operngasse

Ein Transformator in mitten einer kleinen Verkehrsinsel umringt von Verkehrslinien-Wirrwarr auf nur wenigen Quadratmetern.

Eine "Begegnungszone" auf dem Radweg in der Operngasse ist nichts seltenes. Die Operngasse zählt unter der Woche in der Rush-Hour zu den meist genutzen Radwegen.

Michaelerplatz

Über den Michaelerplatz führt die City-Durchfahrt für Radfahrer.

Allerdings gibt es für Radfahrer aufgrund des Katzenkopfpflaster keine Alternative als sich so richtig durchschütteln zu lassen.

Um ein Baby Shaking-Syndrom zu vermeiden sollte man hier lieber nicht mit seinem jüngsten fahren. 

Linke Wienzeile

Die Linke Wienzeile bei der U-Bahn Station Längenfeldgasse ist nur für Könner des urbanen Radfahrens: Enge Passagen und uneinsichtige Kurven sorgen für den besonderen Nervenkitzel auch bei sehr niedrigem Tempo.

Ein Hindernisparcour par excellence.

Was oder wer ist wohl hinter diesem Eck?

Kostenfreies Präzisionstraining für Radfahrer und Fußgänger gibt es an dieser Kurve.

Praterstraße

Sehr eng, aber stark benutzt. Hier gibt es zahlreiche Hindernisse, Autotüren und Fußgänger am Radweg.

Aber auch Ampelschaltungen wie diese sorgen für Konflikte:

Radfahrer haben rot, Fußgänger gleich daneben hingegen grün. Hier gibt es einige Fahrradfahrer die die Fußgängerampel als die für sie gültige "interpretieren".

Reichsbrücke

Abschüssige und uneinsichtige Engstellen sorgen für gefährliche Situationen und Unfälle.

Tempelgasse

Eine bizarre Ampelschaltung gibt es ebenfalls beim Nestroyplatz bei der Tempelgasse.

Radfahrer haben rot, während der etwa ein Meter entfernte Zebrastreifen daneben grün hat.

Opernring

Der Radweg am Opernring wird gerne multifunktionell eingesetzt, wie hier zum Beispiel als Servicestraße.

Oder auch für Fußgänger.

Von der Operngasse kommend, sind die Kreuzungen am Opernring immer besonders konfliktreich.

Gesetz ist Gesetz


Gewissensfrage: Hier am Matzleinsdorferplatz endet der Radweg in der dreispurigen, stark befahrenen Triesterstraße - Fährt man mit seiner Familie legal auf der Straße oder doch illegal am Gehsteig weiter?

Aber auch die beste Infrastruktur wird es nicht schaffen, Gesetzesübertretungen von Radfahrern (oder anderen Verkehrsteilnehmern) auf null zu reduzieren.

Fakt ist: Für Radler gilt die StVO wie für jeden anderen Verkehrsteilnehmer auch. Daran gibt es nichts zu rütteln. Sich aus der Verantwortung zu stehlen wird kein Problem lösen und trägt sicher nicht zur Lösungsfindung bei.

Fakt ist aber auch, dass Gesetze laufend auf Aktualität und Umsetzbarkeit evaluiert werden müssen und manche Lösung nochmal überdacht. Der allgemeine Trend zur Deregulierung des Gesetzesjungles darf in diesem Bereich keine Ausnahme machen.


Fußgänger und Segwayfahrer am Radweg, Radfahrer auf der Straße

Weitere Regularien oder gar drakonische Strafen würden vielleicht der Stadtkasse helfen oder Personen die sich benachteiligt fühlen eine gewisse kurzfristige Genugtung bringen, deeskalierende Maßnahmen in einer emotionalen Debatte sehen aber anders aus.

Der "Erfolg" von Strafen lässt sich gut vergleichen: Trotz mittlerweiler hoher Strafen bei zu schnellem Fahren oder Alkohol am Steuer gibt es in Österreich jährlich immer noch tausende Unfallopfer aufgrund dieser Delikte.

Strafen helfen zwar das Ausmaß und Anzahl zu reduzieren, das Problem selbst lösen sie aber nicht.

Quo vadis?

Factum ist: Immer weniger Jugendliche machen, vor allem im urbanen Bereich, den Führerschein und auch nur mehr dann, wenn es der Beruf zum Beispiel erfordert.

Sogar Autohersteller verlagern langsam ihren Schwerpunkt: Sie wollen nicht mehr als klassische Autoverkäufer auftreten, sondern als "Mobility provider" bzw. stellen "mobility services" zur Verfügung.

Es existieren keine Umfragen, bei dem sich die Bevölkerung einen größeren Verkehrsanteil von Autos in der Stadt wünscht. 

Soll der Anteil der Autofahrer nicht gesteigert werden, wird es aber trotzdem immer Menschen geben, die sich individuell fortbewegen wollen, sprich nicht mit den öffentlichen Verkehrsmittel. Hier gibt es eigentlich keine andere Alternativen zum Fahrrad.

Verbesserungsmaßnahmen

Gute Infrastruktur lässt viele Probleme erst gar nicht entstehen.

  • Es gibt keinen Grund für einen Radfahrer auf dem Gehsteig zu fahren, wenn er eine gute Alternative hat. 
  • Baut man die Wege möglichst direkt und ohne Umwege, wird niemand auf die Idee kommen, sich einen "Abkürzer" zwischen Fußgängern zu suchen oder illegal gegen eine Einbahn zu fahren. 
  • Zu enge Wege, egal ob baulich oder durch Überlastung, verleiten viele zu illegalen Aktionen
  • Schleusenartige Ampelschaltung sind für jeden Verkehrsteilnehmer frustrierend, daher gibt es "Grüne Wellen" schon lange für Autofahrer. Eine Berücksichtigung der Radfahrer würde auch diese Lücke schließen und für mehr Disziplin sorgen. 

Resümee

Die gemeldeten Probleme der Radfahrer und Fußgänger werden laut Fahrrad Wien ausgewertet und hoffentlich rasch behoben.

Wien ist damit zwar schon am richtigen Weg, aber weit davon entfernt am Ziel zu sein. Man darf sich aber nichts vor machen: Es wird immer Rowdies geben und diese gehören schlicht bestraft.

Man darf sich aber auch nicht zu reißerischen Verallgemeinerung verleiten lassen: Rowdies bilden nicht die breite Masse, auch wenn dies fälschlicherweise gerne behauptet wird. Man darf auch nicht vergessen viele Radfahrer sind auch Autofahrer, das belegt eine aktuelle Umfrage von der "Presse". Ich selbst zum Beispiel besitze ebenfalls ein Auto, einen BMW 3er Touring. Und: Jeder Radfahrer ist automatisch Fußgänger, sobald er vom Rad absteigt. 

Ganz Wien kann auch nicht zu einem Radweg oder einer Begegnungszone werden, das zu verlangen wäre einfach utopisch und realitätsfern. Viele Radfahrer verweisen in puncto Fahrradfreundlichkeit gerne auf Kopenhagen. Aber selbst dort gibt es Autofahrer, wie die nachfolgnde Grafik von Wikipedia zeigt:

Meiner Meinung nach würde eine "Entpolitisierung" dem Radfahren einen guten Dienst erweisen. Zielsetzung fast aller Parteien (zumindest am Papier) ist es den Radverkehr und gegensetigen Respekt zu fördern.

Lassen sich aber Parteien eindeutig in Radfahrer- und Autofahrerparteien zuordnen, entsteht nur unnötiger vermeidbarer Diskurs der nicht lösungsorientiert ist. Daher: Raus mit den politischen Ideologien, Radfahren hat kein politisches Couleur sondern ist neben einer Freizeitaktivität auch ein Transportmittel. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Bessere Infrastruktur schützt Nerven, Leben und schafft Fahrfreude für Radfahrer und sorgt für ein besseres Miteinander zwischen allen Verkehrsteilnehmern.

Radfahren in Wien? Ein überwindbarer infrastruktureller, aber besonders gesellschaftlicher Hindernisparcour.

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